Über den Autor
Lukas Kerschbaum ist Geschäftsführer bei All for One Customer Experience, dem Digitalisierungsexperten für Customer Experience innerhalb der All for One Group. Der Brancheninsider wechselte erst kürzlich vom Softwarekonzern SAP zum SAP Platinumpartner, wo er die Bereiche Strategie, Marketing und Vertrieb verantwortet.
Ein Virus legt die Weltwirtschaft lahm. Das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen hält Einzug in die westliche Alltagskultur, und auch unser Kundenverhalten wird sich verändern. Das sollten Unternehmen jetzt in Sachen Kundenerlebnis beachten, um wirtschaftlich Kurs zu halten und auch nach der Krise auf der Gewinnerseite zu stehen.
In Zeiten von Quarantäne, häuslicher Isolation und verschärften Sicherheitsvorkehrungen für systemrelevanten Kundenkontakt wird die Bedeutung der digitalen Customer Experience für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens sichtbar. Lukas Kerschbaum verrät im exklusiven Interview mit Mittelstand Heute, was Kunden jetzt und in Zukunft von Unternehmen erwarten.
„Dies ist eine historische Aufgabe, und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen.“ Mit diesen Worten informierte Angela Merkel Mitte März in einer Fernsehansprache über die erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19. Wie schätzen Sie als Wirtschaftsinformatiker die aktuelle Situation ein?
Diese Krise wird vorübergehen, aber sie wird ihre Spuren hinterlassen, im Miteinander im privaten wie auch im geschäftlichen Umfeld. Wie schon bei der großen Rezession 2008 wird es auch diesmal Gewinner und Verlierer geben. Derzeit setzen wir innerhalb der All for One Group umfassende Maßnahmen, um unsere Kunden optimal durch diese herausfordernden Zeiten zu begleiten. Es gilt jetzt in erster Linie rasche Soforthilfe beim Einführen von Kurzarbeit und dem richtigen Setup für Homeoffice zu leisten.
Gleichzeitig gibt es aber genau jetzt ein Window of Opportunity puncto digitaler Customer Experience. 2018 lag der reine E-Commerce-Umsatz (ohne EDI oder eProcurement Transaktionen) bei 180 Milliarden Euro, was einen Online-Anteil von lediglich 5 Prozent darstellt. Unternehmen standen bereits vor Corona vor der Herausforderung, ihre Produkte und Dienstleistungen auf den globalen Wettbewerb auszurichten und für die Zielgruppe aus der Generation Z ins digitale Zeitalter zu überführen.
Corona wirkt hier definitiv als Beschleuniger hinsichtlich Innovationen und Kundenerwartungen. Beide Felder dürfen nicht der Konkurrenz überlassen werden und wer jetzt die finanziellen Mittel dafür verfügbar machen kann, der sollte sich für die Zeit nach der Krise mit einem ganzheitlichen Customer-Experience-Konzept aufzustellen. Darunter verstehen wir von All for One Customer Experience die gemeinsame Betrachtung der Geschäftsbereiche von Marketing über Vertrieb, Service und Commerce.
Amazon oder auch Alibaba gelten als zwei der klaren Gewinner in der gegenwärtigen Situation. Sie sind auf der Suche nach mehreren zigtausend Mitarbeitern, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Ist der Online-Handel somit auch für den Mittelstand der Rettungsring der Stunde?
Der Online-Einzelhandel setzt seit Langem neue Maßstäbe mit innovativen Angeboten. Das ist in der Branche ein alter Hut, der nun im neuen Licht präsentiert wird. Das Bewusstsein ist also da. Im Großhandel haben wir es jedoch mit deutlich komplexeren Geschäftsprozessen zu tun. Der beste Webshop nützt einem nichts, wenn gleichzeitig Lieferketten und Produktionsabläufe unterbrochen werden. Aber ja, der Distanzhandel bietet definitiv ein großes Potenzial und ist ein wesentliches Element, um jetzt handlungsfähig zu bleiben.
Innovative Kundenportale bieten heutzutage jedoch weit mehr als schicke Produktbilder und unkomplizierte Such- oder Bestellfunktionen. Die Liste reicht von Verfügbarkeitsabfragen in Echtzeit über umfangreiche Variantenkonfigurationen aus Produkten und Serviceleistungen bis hin zu individualisierten Geschäftskonditionen. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, die sich für den Servicebereich bieten, da lassen sich gänzlich neue Geschäftsmodelle implementieren!
Ein Kundenportal mit hinterlegen Self-Services und Chatbots zur raschen Soforthilfe ist in Zeiten wie diesen also ein echter Marktvorteil. Wird im Zuge der Digitalisierung der Servicetechniker bald von Robotern ersetzt?
Die Robotik entwickelt sich in der Tat beeindruckend, Fachkräfte brauchen sich dennoch keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen. Es geht um das ideale Zusammenspiel von Mensch und Maschine durch das umfassende Prozessoptimierungen erreicht und die Servicemannschaft für die wirklich komplexen Fälle freigespielt werden. Mit IoT- Daten kann ich eine vorausschauende Wartung umsetzen und eine Bestellung von Verschleißteilen über ein nachgelagertes Serviceportal auslösen lassen, bevor es zum Maschinenausfall kommt.
Laut einer Umfrage von Bearing Point beschäftigen sich zwar 84 Prozent der Unternehmen mit Predictive Maintenance, aber nur jedes vierte Unternehmen hat tatsächlich Projekte in diesem Bereich umgesetzt. Es lohnt sich ein genauer Blick auf die individuellen Chancen für Service und After Sales. Gestützt von intelligenten Technologien erfahren Servicetechniker/innen hier einen regelrechten Imagewandel. Während Chatbots Standardanfragen bearbeiten, übernehmen sie die Rolle von Expert/innen und können in weiterer Folge zu Cross- und Upselling-Optionen beraten.
Wie sieht so ein zukünftiges digitales Serviceszenario aus? Können Sie das näher ausführen?
Aktuell kann die Zutrittsgenehmigung für ein Firmengelände bereits eine Herausforderung sein. Wer seinen Kunden die bereits angesprochenen Self-Service-Angebote sowie eine effiziente Fernwartung mit Chatbots und kompetentem Fachpersonal bieten kann, trägt entschieden zur Kundenzufriedenheit bei. Ein typischer Schmerzpunkt im Gespräch mit Serviceleiter/innen ist die umständliche und zeitraubende Identifikation von Ersatzteilen. Es ist nicht unüblich, dass ein Kunde Fotos von defekten Komponenten mit der Bitte um Ersatz schickt, die dann umständlich einer Maschine zugeordnet werden müssen. Hier geht kostbare Zeit verloren.
Die Lösung unserer EntwicklerInnen zu diesem Problem heißt Equipment Viewer. Servicemitarbeiter/innen können nun im Kundenportal in 2D- und 3D-Skizzen zum gesuchten Verschleißteil navigieren oder dieses in einer mobilen App mittels Fotoupload direkt vor Ort identifizieren. Dank einer nahtlosen Integration in SAP ERP und SAP Commerce Cloud bieten wir hier ein durchgängiges Erlebnis von der Identifikation bis zur Bestellung. Darüber hinaus gibt es spannende Augmented-Reality-Szenarien, die dank leistbarer Hardware bestimmte Serviceeinsätze effizient in die virtuelle Welt verlagern.
Wir haben uns bislang vor allem zum Kundenerlebnis aus Bestandskunden-Perspektive konzentriert und wie Geschäftsprozesse über ein digitales Kundenportal abgewickelt werden können. Was bedeutet digitale Customer Experience für die Neukundenakquise?
Nun geht es erstmal um Business Continuity und darum, unseren Kunden notwendige digitale Angebote für ihr Tagesgeschäft unter verschärften Bedingungen zu liefern. Selbstverständlich wollen wir auch dabei unterstützen, keinen Interessenten zu verlieren. In diesem Zusammenhang stellt die Digitalisierung von Marketing und Vertrieb eine absolute Notwendigkeit dar. Soziale Netzwerke etwa sind ein wunderbarer Kanal für die digitale Ansprache meiner Zielgruppe. Wir sprechen zwar immer von Social Distancing, doch dabei ist es doch vielmehr Physical Distancing.
Gerade im Digitalen haben wir nun die Gelegenheit, uns unseren Zielgruppen im Homeoffice anzunähern. Ich möchte auch hier den Blick in die Zukunft richten und rate allen Unternehmen, ihre Customer-Journey-Strategie auf Herz und Nieren zu prüfen. Funktionieren alle notwendigen Berührungspunkte zu meinem Unternehmen auch in einer digitalen Welt? Kenne ich meine Kunden und Interessenten und gehe ich auf diese mit relevanten Angeboten zu? Kann ich eine nahtlose Kundenreise vom Erstkontakt über die Kaufentscheidung und darüber hinaus auch in Servicefragen gewährleisten?
Corona verändert jeden einzelnen von uns: Wir werden anders leben und wirtschaften, als wir es bisher gewohnt waren. Ich erwarte mir keine Rückkehr zur oft herbeigesehnten Normalität, denn wir bewegen uns gerade in Höchstgeschwindigkeit auf eine umfassende Digitalisierung der Gesellschaft zu. Daher möchte ich meinen eingangs formulierten Appell wiederholen: Stärken Sie jetzt Ihre digitale Customer-Experience-Strategie und machen Sie Ihr Unternehmen fit für die Kundengeneration von morgen.
von Customer Experience Redaktion
21.10.2020 13:01 PM
MORE IMPACT
Artificial Intelligence
Cybersecurity
Data Management & Big Data
Field Service & Maintenance
Governance & Compliance
Internet of Things
Kunden- & Serviceportal
Machine Learning
Managed Services
Marketing & Vertrieb
New Work
Planning & Forecasting
Reporting & Analytics
Support & Operations